Babelwerk-Stipendium des Deutschen Übersetzerfonds zur Sichtung des Nachlasses von Curt Meyer-Clason im Ibero-Amerikanischen Institut Berlin 2023

Anhand einer quantitativen Erhebung von Übersetzungen der brasilianischen Literatur ins Deutsche in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts konnte ermittelt werden, dass nur eine Handvoll Übersetzer*innen für diese Übersetzungen verantwortlich zeichneten[1]. Der mit Abstand aktivste Übersetzer dieser Gruppe war Curt Meyer-Clason, der in den 1960er-Jahren seine Übersetzertätigkeit aus dem Portugiesischen aufnahm. Bis dahin hatte er nur aus dem Französischen und dem Englischen übersetzt. Neben seiner Tätigkeit als Übersetzer galt der gelernte Kaufmann seiner Zeit auch als erster Vermittler der Literatur aus Lateinamerika und beeinflusste deren Rezeption in Deutschland maßgeblich.
Curt Meyer-Clason, ein charismatischer Redner und Meister der Selbstdarstellung, gibt uns mit seiner Autobiografie und den veröffentlichten
Tagebüchern über unterschiedliche Lebensphasen bereits einen Einblick in sein Leben und Schaffen. Es wäre wünschenswert, bei der Sichtung des Nachlasses hier einen tieferen Zugang zu erhalten. Wie hat Curt Meyer-Clason gearbeitet; schließlich hat er als Quereinstiger aus vier Ausgangssprachen ins Deutsche übersetzt. Es ist bekannt, dass Curt Meyer-Clason mit „seinen“ Autoren in regem Briefwechsel stand. Neben dem literarischen Wert ist von großem Interesse, ob und wie in diesen Briefwechseln übersetzerische Entscheidungen diskutiert wurden?
Der französische Translationswissenschaftler Antoine Berman hat in seiner Arbeit Pour une critique des traductions (Übersetzung: Irène Kuhn) angemerkt, dass „Leben und Werk des Autors als untrennbar angesehen werden, für den Lebensweg des Übersetzers sich jedoch niemand interessiert“. Das kann dahingehend weitergeführt werden, dass einer Übersetzung auch immer eine Interpretation vorangeht, die unweigerlich mit der Person des Übersetzenden verbunden ist. Auch unter diesem Gesichtspunkt soll der Nachlass gesichtet werden. Welche Auswirkung hatte die Biografie von Curt Meyer-Clason auf seine Übersetzungsmaxime?
[1]Brasilianische Literatur in deutscher Sprache – Literaturübersetzung aus der Sicht der Translationswissenschaft, Petra Bös, Reihe Lateinamerika-Studien, Trafo Verlagsgruppe Berlin 2013
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